Nachgefragt: Mit SPD Politikerin Sawsan Chebli über Girl Power, Fremdenfeindlichkeit, Rot, Rot, Grün und die neue politische Jugend

Als junge muslimische Politikerin war sie im Jahr 2014 stellvertretende Sprecherin im Auswärtigen Amt. Seit 2016 ist sie Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales und Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund. Damit hat sie auch im Bundesrat eine wichtige Aufgabe.

Für mich hat Frau Sawsan Chebli aber auch eine andere wichtige Funktion. Denn für viele junge Frauen ist sie ein riesiges Vorbild. Gleichberechtigung für Frauen hat nichts damit zu tun, wo man herkommt oder welcher Religion man angehört. Vorurteile sind nach wie vor ein Problem und als junge „Blondine“ kann ich nur ein Liedchen davon singen. Deshalb freut es mich umso mehr, dass ich Frau Chebli als Politikerin der SPD, Mensch und Vorbild, über die wichtigsten jugendpolitischen Themen befragen durfte.

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Wenn man bei Google den Namen „Sawsan Chebli“ eingibt, bekommt man als Erstes etwas über Rassismus, Sexismus oder Neid zu lesen. Wie schwer ist es deshalb für Sie, als Politikerin, immer wieder auf diese Oberflächlichkeiten, gerade aus der Presse, reagieren zu müssen und wie gehen Sie mit dem Stress um? Sawsan Chebli: Am Anfang war es nicht ganz so leicht, das alles an mir abprallen zu lassen. Es bleibt immer etwas hängen, aber man muss sich immer wieder klarmachen, dass sich die Anfeindungen nicht auf einen selbst als Person richten, sondern auf uns als Politiker beziehen. Ich werde angegriffen für das, wofür ich als öffentliche Person stehe, für den Kampf gegen Rechts, gegen Rassismus und Antisemitismus, für meinen Einsatz für unsere Demokratie.

In meiner Cartoon-Aktion „Jugend gegen Fremdenfeindlichkeit“ mit Herrmann-Comix haben wir versucht klar zu machen, was wir als Jugendliche von Fremdenfeindlichkeit halten. Nämlich nichts!

Sawsan Chebli: Euer Comic spricht wichtige und aktuelle Themen an! Menschen wird die Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft abgesprochen und das dürfen wir nicht zulassen. Die vom Bundesinnenministerium veröffentlichten Zahlen zeigen einen Anstieg von islamfeindlichen Angriffen von 20% im Vergleich zum Vorjahr. Das macht mir Sorgen. Ich finde, dass sich sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Politik noch viel klarer gegen antimuslimischen Rassismus positionieren müssen. Ich erlebe oft, dass auch Leute, die Muslimen wohlgesonnen sind, mich fragen: „Wieso antimuslimischer Rassismus? Der Islam ist doch keine Rasse.“ Hier brauchen wir dringend Aufklärungsarbeit.

Ein Statement von Frau Chebli zum Thema Girlpower – auch ihre Perspektive als praktizierende Muslima teilt sie hier mit uns. Denn Gleichberechtigung gilt für alle und hat nichts mit Geschlecht, Hautfarbe oder Religion zu tun. Dafür setzen wir uns gemeinsam ein.

Als SPD Politikerin interessiert mich natürlich auch Ihre Meinung, was Ihre Partei betrifft. Gerade bei Jugendlichen hat die SPD viel an Zuspruch verloren. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dahinter und was sollte die SPD jetzt auf alle Fälle nicht machen? Sawsan Chebli: Was wir in den Europawahlen gesehen haben ist, dass wir als Partei bei Themen die junge Menschen bewegen, nicht wirklich gut dastehen. Auch wir fordern, dass beim Klima schnell gehandelt wird. Wir wissen, dass wir bei der Digitalisierung noch besser werden müssen und es gibt keine Partei, die sich so sehr für ein chancengleiches Leben für alle einsetzt wie die SPD – unabhängig von der Dicke des Portemonnaies der Eltern, von Hautfarbe und Religion. Offenbar schaffen wir es aber nicht den jungen Leuten zu vermitteln, dass diese Themen nicht nur zum Wahlprogramm gehören, sondern echte Anliegen sind, für die sich die SPD einsetzt. Noch klarer Haltung beziehen, mit jungen Wählern in den Dialog zu treten und ihre Ideen und Visionen miteinbeziehen – da müssen wir besser werden.

Die SPD setzt sich ja für ein generelles Wahlrecht ab 16 ein. In Berlin ist ja das Wahlalter bei Kommunalwahlen bei 16 Jahren. Welche Erfahrungen hat man daraus bis jetzt schließen können und warum ist es im Bund so schwer das Wahlrecht zu senken? Sawsan Chebli: Nicht nur hier in Berlin und in Deutschland, sondern weltweit sehen wir, dass junge Menschen nicht länger bereit sind, politische Entwicklungen einfach nur von der Seitenlinie zu kommentieren, sondern für ihr Anliegen auf die Straße gehen und politisch mitmischen. Globale Klimaproteste sind nur ein Beispiel. So ein starkes Engagement ist bewundernswert und wir täten gut daran, das Interesse der Jugendlichen, politisch mitzugestalten, zu unterstützen und auch zu nutzen. Die Möglichkeit, ab 16 Jahren an Wahlen teilzunehmen, ist hier ein entscheidender Punkt. Die SPD setzt sich ganz klar dafür ein. Leider sind nicht alle Parteien davon überzeugt, dass Jugendliche unter 18 Jahren auf Bundesebene wählen dürfen. Einige argumentieren mit fehlender Verstandesreife, was ich angesichts der Reife von zum Beispiel Greta Thunberg und Fridays For Future- Teilnehmern absurd finde.

Berlin wird aktuell Rot, Rot, Grün regiert. Wie läuft es so in Berlin und könnten Sie sich das auch mal für Deutschland vorstellen? Sawsan Chebli: Berliner sind nicht wirklich gut darin, auch mal Lob auszusprechen, wenn Dinge gut laufen. Berlin hat sich in den letzten Jahren aber zu einer der beliebtesten, freiesten Metropolen im Herzen Europas entwickelt. Immer mehr Menschen ziehen nach Berlin. Die Stadt wächst um 40.000 Menschen im Jahr. Wir sind der stärkste Wissenschaftsstandort Deutschlands. Wir haben die Arbeitslosigkeit halbiert, das Wirtschaftswachstum liegt seit Jahren über dem Bundesschnitt. Zudem haben wir Berlin zu einer der weltweiten Top-Adressen für Start-Ups und Stiftungen gemacht. All diese Leistungen können sich sehen lassen und zeigen, dass unsere Koalition die Stadt voranbringt. Dieses Modell ist damit auch jenseits von Berlin denkbar. 

Herzlichen Dank an Frau Chebli und der SPD Berlin für das ehrliche und umfangreiche Interview. Livia Kerp

Livia Josephine

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