Im Gespräch mit Raul Krauthausen – Inklusionsaktivist und „fast“ Astronaut

Als Bloggerin kenne ich natürlich, Raul Krauthausen schon länger als sehr bekannten Blogger, der sich für Inklusion und Gleichstellung für behinderte Menschen einsetzt. Aus der Sichtweise für mich als politische Bloggerin, ist er eine Institution in unserer Bloggerszene. Daher war es auch eine echte Ehre, dass ich mich mit Raul Krauthausen über Zoom unterhalten konnte.

Inklusion ist ein Thema, mit dem ich mich mittlerweile auch schon eine Zeit lang auseinandersetze. Inklusion und Politik sind für mich zwei Themen, die irgendwie nicht zusammenpassen. Und Corona hat das wieder deutlich aufgezeigt. Aber nach dem Gespräch mit Raul Krauthausen, bei dem ich das Thema durch einen völlig neuen Blickwinkel sehen konnte, wurde mir klar, dass es noch lange dauern kann, bis Politik und Inklusion kompatibel werden. Warum? Die Antwort – Jetzt im Interview:

Sie haben sich mal die Frage gestellt, wie inklusiv die Corona-Impfplan der Bundesregierung ist. Sie haben dann festgestellt, dass Menschen mit Behinderung, in der Impfpriorisierung einfach vergessen wurden. Darauf haben sie auch, sehr deutlich auf ihrem Blog raul.de hingewiesen. Haben Sie aus der Politik mittlerweile eine Rückmeldung bekommen oder hat sich die Politik für das Versäumnis entschuldigt? Raul Krauthausen: In der Tat wurden Menschen mit Behinderung in der Impfpriorisierung nicht erwähnt. Seit einem halben Jahr wird nun schon gegen Corona geimpft und erst seit ein paar Wochen wurde der Impfplan dahingehen geändert. Eine Entschuldigung gabs bisher noch nicht, obwohl es eine Menge zum Entschuldigen aus der Reihe der Politik gäbe. Im Gegenteil, denn die Verantwortung wird einfach von A nach B, also zum Bundesland oder einem Bürgermeister abgeschoben. Für mich ist es auch eine verlorene Lebensmühe auf eine Entschuldigung zu warten. Ich erlebe aus der Politik nicht einmal ein Gefühl von Einsicht. Vor allem wenn ich Pressekonferenzen von Frau Merkel oder Herrn Spahn sehe, vermisse ich immer noch eine direkte Übersetzung in Gebärdensprache. Selbst in südlichen Ländern sind Übersetzungen bei politischen Pressekonferenzen in Gebärdensprache normaler Standard.

Sie werden gerne als der „Mann mit der Mütze“ betitelt oder als „Der Inklusionsaktivist“. Was gefällt Ihnen am besten oder besser gesagt, wie würden sie sich betiteln? Raul Krauthausen: Das wahrscheinlichste als Inklusionsaktivist. Als Beinote auf alle Fälle lieber, der Mann mit der Mütze, als der Mann im Rollstuhl.

Sie haben ja mal ein Buch über das Leben aus der Rollstuhlperspektive geschrieben, mit dem Titel „Dachdecker wollte ich eh nicht werden“. Den Titel find ich genial, aber was wollte das Kind Raul wirklich mal werden? Raul Krauthausen: Da gab es eine Menge. Pilot, Astronaut oder irgendwas mit Medien. Gut, Pilot oder Astronaut hat nicht ganz geklappt, aber das mit den Medien dafür etwas besser.

Astronautin war für mich auch mal ein großes Thema als Kind, aber ich denke mal, dass wir beide trotzdem nicht so viel dabei verpasst haben. In meinem Blog und auch in meinem Buch geht es ja nur um jugendpolitische Themen. Ganz beliebt auch das Thema Bildungsföderalismus. Ich habe das Gefühl, dass Inklusion in der Bildung noch nicht wirklich selbstverständlich ist. Glauben Sie, dass es etwas mit dem Föderalismus zu tun hat oder sehen Sie andere Gründe dafür? Raul Krauthausen: Momentan ist der Föderalismus ja gerade für alles der Schuldige. Ich denke der Föderalismus könnte aber auch Wettbewerb erzeugen. Deshalb glaube ich nicht, dass der Föderalismus direkt verantwortlich ist, dass Inklusion in der Bildungspolitik noch nicht diesen Stellenwert hat. Ich sehe eher ein strukturelles Problem.  Kinder gehen 13 Jahre in die Schule. Ein Bildungsminister oder Senatorin ist lediglich, in der Regel 4 Jahre in ihrem Amt. Politiker denken eher in vier Jahres Zyklen und darin sehe ich ein Problem. Das nächste Problem ist, dass die Idee unsers dreigliedrigen und eher konservativen Bild des Schulsystems, eigentlich der Inklusion im Weg steht. Denn die Inklusion sagt, dass wir eine Schule für alle brauchen. Das Prinzip, dass die Leistungsträger einer Klasse den Schwächeren helfen und der Stärke aber auch vom Schwächeren etwas lernen kann. Deshalb ist es so, dass Sozialkompetenzen in Inklusionsklassen viel besser entwickelt werden. Und zusätzlich wird bei uns in Deutschland viel weniger Geld für Bildung ausgeben als zum Beispiel in den skandinavischen Ländern. Deshalb haben wir in Deutschland zu wenig Lehrer, die auch noch für das gleiche Gehalt mehr leisten müssen. Dass dann Inklusion in diesem Rahmen nicht so funktioniert, wie es eigentlich könnte, wundert mich natürlich nicht.

Im Rahmen meines Praktikums an der FOS war ich insgesamt drei Monate in einem Blindensinstitut für schwer geistig- und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche. Was, wenn es nach mir ginge, jeder Schüler einmal machen sollte. Denn diese Kinder und Jugendliche gehören nicht an den Rand unserer Gesellschaft, sondern in die Mitte. Dafür habe ich viele Artikel und Posts geschrieben. Aber ich habe letztendlich gemerkt, dass es wahnsinnig schwierig ist, die Gesellschaft mit diesem Thema zu erreichen. Warum denken sie, ist es so schwer gerade die Schwächsten vom Rand in die Mitte unserer Gesellschaft zu bringen? Raul Krauthausen: Ich würde die Frage anders stellen wollen. Weil davon auszugehen, dass behinderte Menschen automatisch schwach sind, fördert schnell ein Machtgefälle von den Starken nicht behinderten Menschen da oben zu den schwachen behinderten Menschen da unten. Deshalb stellt sich für mich eher die Frage, warum sind Menschen mit den verschiedensten Behinderungen, zusammengefercht in einer Schule oder Einrichtung. Es entsteht eine Selektion aufgrund Verdrängung. Also die Mehrheitsgesellschaft möchte einfach nichts mit Behinderung zu tun haben und argumentiert es mit Förderung. Und das ist für mich das perfide. Denn was hat ein geistig behindertes Kind mit einem blinden Kind mehr gemeinsam als mit einem nicht behinderten Kind?

Aber muss dann die Politik dafür mehr tun? Also, dafür sorgen, Menschen aus den Rand der Gesellschaft zu holen? Raul Krauthausen: Ich sehe ausschließlich die Politik in der Verantwortung, weil die Politik nun mal die Regeln macht. Die Politik arbeitet gerne mit Floskeln, um das Thema Inklusion zu umgehen. Wie so etwas wie, wir müssen erst die Bevölkerung sensibilisieren oder Barrieren in den Köpfen der Gesellschaft senken. Denn Politiker haben einfach Angst bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verärgern. Natürlich kann ich meine Busfahrerin oder Bäckerin von Inklusion überzeugen. Aber sie werden daran nichts ändern können, als nur alle vier Jahre zur Wahl zu gehen und ihr Kreuzchen wo anders machen.  Daher ist es einfach die Aufgabe der Politik und die Rahmenbedingen für faire und inklusive Bildungspolitik die, die Gesellschaft zusammenführt.

Wenn sie einen Wunsch frei hätten, was würden sie sich von der Gesellschaft und der Politik wünschen? Raul Krauthausen: In Förderschulen sind Klassen klein mit etwa 8 Kinder und zwei Lehrer. In einer Regelschule sind es etwa 30 Lehrer mit einem Lehrer. Wie wäre es, wenn wir diese zwei Klassen zusammenstecken würde? Dann hätten wir kleinere Klassen, vielleicht mit 22 Kinder und 3 Lehrer. Dann würden doch alle profitieren. Auch die nichtbehinderten Kinder, weil sie die Mehrheit sind.

Wir sollten Inklusion daher auch als etwas begreifen von dem auch nicht behinderte Kinder profitieren, nicht nur die Kinder mit Behinderung. Das würde ich mir wünschen.   

Ein Interview von Livia Josephine Kerp

Livia Josephine

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