Nachgefragt! Bei Grünen-Chef Cem Özdemir über unser Klima und dem Islam

Es gibt viele Fragen. Ob über das Jugendwahlrecht oder Europa aber vor allem auch über die Klimaerwärmung und den Islam und dazu habe ich mir den perfekten Gesprächspartner ausgesucht.
Den Bundesvorsitzenden der Grünen, Herrn Özdemir.

Was für mich interessant ist, welche Erfahrung Cem Özdemir in seiner Schulzeit gemacht hat. Das war auch gleich meine erste Frage und ich muss gleich sagen, dass seine Antwort nicht nur überraschend sondern für mich auch zugleich sehr motivierend ist.
Herr Özdemir: Eigentlich sollte ich schon in der ersten Klasse sitzenbleiben. Ein junger Referendar überredete die Lehrerin aber, mich doch noch zu versetzen. Meine Eltern konnten nicht gut genug Deutsch, um so ein Gespräch zu führen. In der zweiten Klasse hat die Lehrerin alle Kinder nach ihrer Leistung eingeteilt. Ich war bei den Leistungsschwächsten, sie nannte uns die „Krokodile“. Kein sehr netter Name. Die besseren Gruppen hatten schönere Tiernamen. An meinem Krokodils-Tisch saßen neben mir noch ein portugiesischer Junge und deutsche Arbeiterkinder. Von uns hat es nie jemand geschafft, in eine bessere Gruppe zu kommen.
Es war leider bei mir so und ist häufig immer noch so: Der Erfolg von Kindern in der Schule hängt mit davon ab, aus welchen Verhältnissen sie kommen. Ich kam später auf die Hauptschule. Dank einiger toller Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern von Freunden, die mir bei den Hausaufgaben halfen, konnte ich später auf die Realschule gehen und dort den Realschulabschluss machen. Abitur habe ich erst als junger Erwachsener während meiner Ausbildung zum Erzieher gemacht. Danach habe ich dann sogar noch studiert.
Zu meiner Religion: Ich finde, dass es erst einmal darauf ankommt, was für ein Mensch man ist. Ich selbst würde mich vielleicht als säkularen Muslim bezeichnen. Meine Frau ist Katholikin. Wir sagen unseren Kindern immer, dass Jesus und Mohammed bestimmt Freunde sind.

Zum Thema Islam finde ich es auch auffällig, dass es in der Schule oder auch im Fußball wie z.B. in der deutschen Nationalmannschaft wesentlich besser funktioniert als in der Politik. Warum denken Sie ist das so?
Herr Özdemir: Na ja, auch beim Fußball braucht es hier und da den Schiedsrichter und auf dem Schulhof kann manchmal auch rauer zugehen. Aber es stimmt: Oft hat man den Eindruck, in der Politik sind alle zerstritten. Dazu hilft zu wissen: Die Bevölkerung schickt uns ins Parlament, damit wir über wichtige Fragen diskutieren und eine Lösung finden. Um das zu erreichen, ist Streit nötig und es darf auch mal etwas lauter werden. Was aber nicht geht, ist den Respekt gegenüber anderen zu verlieren. Da gilt im Plenarsaal dasselbe wie im Klassenzimmer: Behandle andere, wie du selber behandelt werden möchtest. Es zählt also nicht, ob man streitet, sondern dass am Ende etwas Gutes für die Menschen rauskommt. Derzeit hat man leider oft nicht den Eindruck, dass das gelingt. Wir Grüne wollen das ändern. Wo wir regieren, gibt es einen anderen Stil.

Negative Kommentare finde ich persönlich schlimm. Aber als Politiker muss man sicher ein sehr, sehr dickes Fell haben. Wie gehen Sie mit negativer Kritik um, gerade auch wegen der heftigen Kritik von Herrn Erdogan?
Herr Özdemir: Kritik zu akzeptieren ist immer schwer: egal ob als Junior-Bloggerin oder alter Politiker. Wichtig dabei ist, ob die Kritik angemessen ist und dass sie sich auf das Handeln bezieht. Wenn mir einer sagt, das haste nicht so gut gemacht, kann ich das annehmen und – wenn er mich überzeugt – beim nächsten Mal vielleicht besser machen. Wenn aber eine Person in ihrem Innersten angegriffen wird, z.B. für ihren Glauben, ihre Herkunft, ihr Aussehen oder ihre sexuelle Orientierung, dann ist das keine berechtigte Kritik. Dann müssen wir alle – Schüler und Lehrer, Jung und Alt, du und ich – den Leuten, die gegen andere hetzen, die rote Karte zeigen. Niemand soll sich in unserem Land fürchten müssen. Was die Kritik von Herrn Erdogan angeht, es stimmt, die war sehr heftig. Ich habe aber auch sehr viel Zuspruch von anderen Menschen bekommen, die mir sagten, wie wichtig es war, dass wir den Völkermord an den Armeniern vor 101 Jahren endlich klar benannt haben. So läuft das in der Politik. Wenn man alle glücklich macht, macht man was falsch.

Aber eines der allerwichtigsten Themen für mich ist die Klimaerwärmung. Es gab schon viele Klimakonferenzen aber was ist letztlich Positives dabei passiert? Sind Sie damit bis jetzt zufrieden oder was wären ihre Vorschläge dazu?
Herr Özdemir: Das stimmt, es wurde schon sehr viel geredet. Sicher wird es auch noch viele Konferenzen geben müssen. Die jüngeren Generationen sind sich viel klarer darüber, dass wir endlich aufhören müssen, gegen unseren Planeten zu wirtschaften. Leider ist das noch nicht bei allen angekommen. Aber es gibt auch schon Erfolge. Nach den Verhandlungen von Paris haben 74 Nationen in einem Klimavertrag beschlossen, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Das ist doch was. Wir Grüne gehen aber weiter und machen Vorschläge, wie wir das schaffen können: Wir wollen zum Beispiel bis zu deinem dreißigsten Geburtstag viel mehr Elektroautos auf den Straßen fahren sehen. Und wenn du dann dein Radio anschaltest oder dein Handy auflädst, produzieren den Strom dafür dann Sonne und Wind und nicht Kohle- oder Atomkraftwerke.

Ich hätte auf alle Fälle kein Problem, wenn es Windradfelder oder Solarflächen geben würde, weil für mich Atomkraftwerke beängstigend sind. Wann werden endlich alle Atomkraftwerke in Europa verschwunden sein?
Herr Özdemir: Wenn es nach mir ginge, ganz schnell. Dafür ist wichtig, dass wir die Alternativen stärker fördern.

Allein wenn die Temperatur noch weiter so ansteigt wie in den letzten 100 Jahren, wird sich das Leben auf unserer Erde in den nächsten 100 Jahren wesentlich ändern. Sollte man auf das Problem nicht viel mehr aufmerksam machen?
Herr Özdemir: Ich stehe jeden Morgen auf und mache mir genau über die Frage Gedanken, wie wir auf den Klimawandel so laut aufmerksam machen können, dass jede und jeder uns hört. Leider sind sich nicht alle Menschen – geschweige denn Parteien – darüber einig, dass wir hier schnellstens handeln müssen. Da sind wir dann wieder bei deiner ersten Frage. Wir müssen darüber streiten. Ich habe aber große Hoffnung, dass wir bald mit voller Kraft alle an einem Strang ziehen, damit auch die nächsten Generationen einen so lebenswerten Planeten vorfinden, wie wir.

Zum Schluss möchte ich mich noch bei Herrn Özdemir und seiner Partei für das sehr nette und ausführliche Interview bedanken und fühle mich auch sehr geehrt. Besonders für die ehrliche und sympathische Antwort meiner ersten Frage. 

Livia Josephine

3 Kommentare

  1. Das Wort Klimawandel klingt zu harmlos. Wandel muss ja nicht schlecht sein. Um die Dramatik zu begreifen sollten wir eher von Erderhitzung oder Klimachaos sprechen.

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